Sag mir, wo die Übersetzer sind
Sind wir im Krieg?
Ein lieber Kollege sendete mir gestern einen Link zu einem Artikel im Guardian mit dem Titel „Where have all the translators gone?“
Das erinnerte mich an das Antikriegslied „Where have all the flowers gone“. Die Blumen sind jetzt die Übersetzer und Marlene Dietrich würde heute singen: „Sag mir, wo die Übersetzer sind.“
In dem Artikel lese ich, dass professionelle Übersetzer*innen aus dem Milliardengeschäft der Untertitelung aussteigen, denn die Milliarden verdienen nicht sie. Im Gegenteil: Honorare wie ein Dollar pro Minute Filmzeit sind an der Tagesordnung.
Ja, du hast richtig gelesen. Und nun verstehe ich auch die Anlehnung an dieses Antikriegslied, denn das klingt wie ein Preiskrieg, den die Übersetzer*innen verloren haben.
Honorare
Bleiben wir mal bei dem Honorar von einem Dollar pro Minute Filmzeit: Eine Minute Filmzeit übersetzt man nicht in einer Minute. Selbst wenn ich Super-Diana wäre und das in fünf Minuten schaffen würde, hätte ich demnach 12 Dollar pro Stunde verdient. Das sind zurzeit etwa 10,49 EUR. Wow! Somit erhalte ich immerhin noch ein bisschen mehr als den hier in Deutschland geltenden Mindestlohn.
Aufgepasst! Wir sind Unternehmer*innen, die von diesen 10,49 EUR unsere Betriebsausgaben und die Einkommensteuer abziehen müssen, so dass uns viel weniger bleibt, als es auf den ersten Blick aussieht.
Es geht um die Zukunft des Übersetzerberufs
Also lohnen sich doch das ganze Studium und die vielen Qualifikationen gar nicht. Wir haben richtig was drauf, nur möchte gefühlt niemand etwas für hochwertige Übersetzungen zahlen. Die Zukunft des Übersetzungsberufs ist nicht nur im Bereich Untertitelung von Filmen und Serien gefährdet. Diesen Preisdruck erleben wir überall. Also, was schlägst du vor? Es gibt hier genau drei Möglichkeiten:
- Wir kämpfen für ein Honorar, das widerspiegelt, wie viel unsere Kundschaft mit unserer Hilfe erreicht.
- Wir hören einfach auf zu übersetzen und machen was ganz anderes.
- Wir suchen uns lohnende Märkte und bieten zusätzliche Dienstleistungen an.
Den Beruf an den Nagel hängen?
Alle drei Möglichkeiten klingen vollkommen legitim. Stell dir die Frage, ob du für dein Honorar kämpfen möchtest. Ich weiß, das tun wir alle jeden Tag. Aber irgendwann hast du vielleicht auch keine Lust mehr darauf. Auch wenn du deinen Beruf liebst, häng ihn an den Nagel und mach etwas ganz anderes. Als Übersetzer*in hast du dir so viele Fähigkeiten angeeignet, dass es dir leicht fallen wird, in einen neuen Bereich einzutauchen und endlich Entspannung zu finden.
Zusätzliche Dienstleistungen
Aber was, wenn du das alles auf keinen Fall aufgeben möchtest? Übersetzen ist dein Leben? Es gibt nichts anderes, was du machen möchtest?
Dann prüfe, wo es sich lohnt, als Übersetzer*in zu arbeiten. Du musst nicht allen Leuten helfen und alles übersetzen, was du interessant findest. Du willst mit deiner Leistung Geld verdienen.
Ich bin zum Beispiel in die Welt der zusätzlichen Dienstleistungen eingetaucht und fühle mich hier sehr wohl. Ich kann immer noch übersetzen, biete aber noch weitere Dinge an, die mir Spaß machen:
- Ich lese Texte Korrektur.
- Ich gebe Englisch-Trainings.
- Ich berate Übersetzer*innen, die sich fit für die Zukunft machen wollen.
Ich sag dir, wo die Übersetzer geblieben sind
Die Übersetzer*innen sind dort, wo der Wert ihrer Leistung geschätzt wird. Also, vergeude deine kostbare Zeit nicht mehr damit, dich über niedrige Honorare zu ärgern. Fang an, eine der drei oben genannten Möglichkeiten umzusetzen. Wenn du noch eine zweite Meinung brauchst, schreib mir oder ruf mich an. Ich habe diese Überlegungen alle schon hinter mir.
Es schadet trotzdem nicht, sich regelmäßig diese Frage zu stellen und zu singen:
Sag mir, wo die Übersetzer sind,
Wo sind sie geblieben?
Sag mir wo die Übersetzer sind,
Was ist geschehen?